Informierter Leib,  Integrative Therapie,  Kunsttherapie,  Theaterpädagogik

Körperarbeit in der Theaterpädagogik

Verkörperte Biografie als Ressource szenischen Lernens

In der theaterpädagogischen Arbeit steht der Körper im Zentrum: Er ist nicht nur Medium des Ausdrucks, sondern auch Resonanzraum für Emotionen, Erinnerungen und Beziehungen. Was oft intuitiv geschieht, lässt sich mit einem Begriff aus der integrativen Therapie präziser fassen: der informierte Leib.

Leib statt Körper – was meint Petzold?

Der Psychologe und Therapieforscher Hilarion G. Petzold unterscheidet zwischen dem „Körper“ als biologischer Struktur und dem „Leib“ als gelebter, erfahrener Körper. Der Leib ist mehr als Muskeln, Haut und Skelett – er ist Träger von Erinnerungen, sozialen Prägungen und Emotionen. Petzold spricht deshalb vom „informierten Leib“: Ein Körper, der durch Erziehung, Traumata, Bindungserfahrungen, Bewegungsmuster und kulturelle Normen informiert wurde – im wörtlichen Sinn: geformt durch Information.

Diese „Leibinformationen“ sind oft präverbal. Sie äußern sich in Haltung, Gestik, Stimme, Bewegungsvermeidungen, Spannungszuständen oder auch in Resonanzmustern auf Nähe, Rhythmus und Berührung. In der therapeutischen Arbeit bedeutet das: Wer heilsame Prozesse anstoßen will, muss nicht nur den Kopf, sondern auch den Leib ansprechen.

Theaterpädagogik als Erfahrungsraum des Leibes

Auch in der Theaterpädagogik arbeiten wir mit verkörperten Mustern – ob wir wollen oder nicht. Jede Bewegung auf der Bühne, jede Improvisation bringt die individuelle Leiberfahrung eines Menschen ins Spiel. Genau darin liegt eine enorme Chance: Die Bühne wird zum Experimentierfeld für neue körperliche Erfahrungen, die den informierten Leib verwandeln können.

Besonders in prozessorientierten Formaten (etwa im sozialen Rollenspiel, in der Biografiearbeit oder im Szenischen Spiel) werden diese verkörperten Informationen sichtbar und bearbeitbar:

  • Eine schüchterne Schülerin, die lernt, sich groß zu machen.
  • Ein wütender Jugendlicher, der eine neue Form des Ausdrucks findet.
  • Eine Gruppe, die im gemeinsamen Körperbild eine neue Form der Zugehörigkeit erfährt.

All dies sind leibliche Lernprozesse, in denen bisherige Muster gespürt, gespiegelt und transformiert werden. Die Theaterpädagogik wird so zur praxeologischen Form von Embodiment-Arbeit.

Der Leib als biografischer Resonanzraum

Was Petzold als „informierten Leib“ beschreibt, spiegelt sich auch in theaterpädagogischen Zugängen wie:

  • der Biografischen Theaterarbeit (z. B. nach Maike Plath),
  • der körperorientierten Improvisation (z. B. im Physical Theatre),
  • oder den leibzentrierten Warm-ups aus dem Bereich des somatischen Lernens.

Hier geht es darum, nicht nur Rollen zu „spielen“, sondern die eigenen leiblichen Spuren bewusst zu machen, zu nutzen – und im szenischen Spiel neue „Leibinformationen“ zu ermöglichen.

Was heißt das für die Praxis?

  • Leibwahrnehmung fördern: Warm-ups und Körperreisen sollten Raum für Spüren, Nachsinnen und Austausch geben.
  • Räume für korrigierende Erfahrung schaffen: Theater kann ungewohnte Bewegungen, Rollen oder Positionen ermöglichen – und damit leibliche Erweiterung.
  • Biografie sensibel mitdenken: Jede Körperhaltung hat eine Geschichte. Theaterarbeit darf das würdigen, ohne zu psychologisieren.
  • Multimodalität zulassen: Körper, Stimme, Text, Bewegung, Klang – leibliches Lernen ist vielschichtig.

Fazit

Die Idee des „informierten Leibs“ eröffnet der Theaterpädagogik ein tieferes Verständnis dafür, warum Körperarbeit so wirksam ist – nicht nur als Ausdrucksform, sondern als biografische Ressource. Wer theaterpädagogisch arbeitet, bewegt nicht nur Körper, sondern auch Geschichten. Und manchmal – das ist das Schöne – kann ein Spiel auch ein Stück Heilung bedeuten.

Quelle: https://www.fpi-publikation.de/downloads/?doc=polyloge_Petzold-InformierterLeib-Polyloge-07-2002.pdf

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